Jul
22
2016

SILLY: Die Erfolgsgeschichte

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SILLY ist nicht irgendeine Band, die mal ein paar Hits hatte. Sie sind eine Institution. Sie sind Musikgeschichte jüngeren Datums; würde es nicht so pathetisch klingen, deutsch-deutsches Kulturgut. Eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält.

Text: Christian Hentschel

Die „Große Melodie“ in der Ostberliner Friedrichstraße war in der zweiten Hälfte der 1970er das Etablissement der Stunde, es gab Tanz und Sekt direkt aus dem VEB Rotkäppchen – sowie jeden Montag ein stark frequentiertes Musikertreffen. Hier traf sich zu jedem Wochenbeginn die Hautevolee des ostdeutschen Szeneklüngels. Hier wurden Erfolge gefeiert, Ideen ausgeheckt und Pläne geschmiedet. Einen solchen hatten auch der Gitarrist Thomas Fritzsching von der Band Phönix sowie der Bassist Matthias „James“ Schramm von der „College Formation“, sie wollten endlich eine eigene Band gründen. Eine Formation nach ihren Vorstellungen. Eine mit ungewöhnlichem Sound und einer herausragenden Frontfrau. Diese hatten sie längst auserkoren. Sie war ihnen in der Horst-Krüger-Band aufgefallen. Zwar war sie da nur im Background zu hören, aber präsent genug, um die charismatische Persönlichkeit schnell zu bemerken. In der „Großen Melodie“ hatten Fritzsching und Schramm sie schließlich gefragt, ein freches „Warum nicht?“ kam als prompte Antwort. Sie, das ist Tamara Danz. Und die schicksalhafte Begegnung in der Melodie die Geburtsstunde von SILLY. Das war 1978.

Silly-1Dass sich die neue Truppe einen englischsprachigen Bandnamen gab (was damals im DDR-Kulturbetrieb eigentlich nicht möglich war), war offensichtlich niemanden aufgefallen. Vielleicht auch deshalb, weil sie vor SILLY das Wörtchen Familie setzten und in Interviews immer beteuerten, sich nach Tamaras Katze benannt zu haben. Auch der Sound war international: So viel Funk, Reggae und Boogie hatte es im DDR-Rock bis dato nicht gegeben. Schnell stellten sich erste Erfolge ein. Es gab die Bratislavska Lyra, das osteuropäische Pendant zum Grand Prix, sowie eine LP-Veröffentlichung in der BRD. AMIGA zog erst ein paar Monate später nach, „Tanzt keiner Boogie?“ (1981) hieß das Vinyl und war ein durchaus beeindruckendes Sammelsurium der ersten Rundfunkproduktionen.

Das zweite Debüt

Sowohl einige Musiker der Band (darunter Sängerin Tamara), als auch etliche Fans zählten allerdings erst das Folgealbum als Debüt. Sie hatten insofern Recht, weil inzwischen das „Familie“ aus dem Bandnamen gestrichen und die musikalische Ausrichtung eine komplett neue war. Aber hier wurde nicht nur ein neues Repertoire gespielt, es war ein Paukenschlag. Ob die Songs, die Texte, die Produktion, das Auftreten und Aussehen der Band – man braucht unzählige Superlative, um dieses Phänomen beschreiben zu können. Das bahnbrechende Album hieß „Mont Klamott“ (1983). Übrigens die allererste AMIGA-LP, auf deren Innenhülle erstmals die Liedtexte abgedruckt waren. Das Cover selbst war dagegen schlicht ausgefallen, lediglich das Logo auf weißem Hintergrund. Inzwischen weiß man, dass die eigentliche Coveridee (ein Foto, das sie so zeigt, wie sie aussehen) der Zensur zum Opfer fiel. Das gut gemachte Bandfoto war zu „westlich“, zu „new wavig“. Für die heutigen Nachauflagen wurde die eigentliche Idee wieder aufgegriffen.

Grüne Elefanten

Das nächste Album sollte „Zwischen unbefahrenen Gleisen“ heißen und war sogar schonDDR-Rockband - Silly (1985) gepresst, als den Zensoren auffiel, dass man mindestens drei der Songs definitiv nicht veröffentlichen könne. Schließlich kam das Album 1985 in geänderter Form als „Liebeswalzer“ in die Läden, doch auch die „geschwächte“ Version hatte immer noch genügend Wucht und Brisanz. Wieder hatten SILLY die Messlatte für Rockmusik aus der DDR ein Stückchen nach oben gesetzt. Ansonsten war es bis zum Ende der DDR immer wieder ein Ringen – um einzelne Aussagen, um Formulierungen. SILLY waren eine Band am Zahn der Zeit, die ernst genommen werden wollte, die etwas zu sagen hatte. Später erzählen SILLY die Geschichte der sogenannten „grünen Elefanten“, dass sie absichtlich in den Texten Stellen einbauten, die man nie und nimmer durch die Zensur gekriegt hätte (genau, die grünen Elefanten), um andere Botschaften lancieren zu können. Die Fans hatten derweil das Zwischen-den-Zeilen-lesen gelernt. Was damals nicht veröffentlicht werden konnte, findet sich heute sehr wohl auf den Nachveröffentlichungen. Auch die nachfolgenden Alben untermauerten den exzellenten Ruf der Berliner. Mehr noch, jedes Mal toppten sie sich selbst. SILLY wuchsen nicht zu einer vielversprechenden Band, sondern wurden Institution. Ihre Alben „Bataillon d’Amour“ (1986) und „Februar“ (1989) haben nichts an Gültigkeit eingebüßt. Noch heute lässt sich an jedem Ton nachvollziehen, warum diese LPs als Meilensteine gelten.

Raus aus der Komfortzone

Im Laufe der Jahre drehte sich einige Male das Besetzungskarussell. Zuerst löste Ritchie Barton, ehemals City, 1981 die beiden vorherigen Keyboarder ab. 1984 wurde Herbert Junck von NO55 als neuer Schlagzeuger verpflichtet. Zwei Jahre später holten SILLY den Stern Meißen-Gitarristen Uwe Hassbecker in die Band. Und mit dem 1987er Neuzugang Jäcki Reznicek (ehemals Pankow) am Bass fand sich schließlich die erfolgreichste Besetzung. Noch heute zählen Ritchie, Uwe und Jäcki zum Line Up von SILLY.
9312-50314I42555Als mit dem Mauerfall und dem Ende der DDR zunächst das Interesse an ostdeutschen Bands kurzzeitig aussetzte, mussten SILLY weder Versicherungsagenturen gründen, noch Imbissbuden aufmachen. Sie weilten mit gut dotiertem Majordeal in einem süddeutschen Tonstudio, doch SILLY verließen die Komfortzone. Das Rückgrat, das in den Siebzigern und Achtzigern gewachsen war, blieb auch unter neuem Vorzeichen. Als das Label mit beliebigen Textvorschlägen um die Ecke kam, reiste die Band zügig ab. Das dann selbst produzierte Album „Hurensöhne“ (1993) zeigt, dass sich die Band treu geblieben ist. Musikalisch ganz bei sich und dennoch open minded, textlich wieder den Finger in der Wunde. Auch wiedervereint war nicht plötzlich alles schön.

Die wohl persönlichste Platte stammt aus dem Jahr 1996. „Paradies“ hieß der Juwel, mit einer bisher nicht möglich gehaltenen Intensität. Den Einzug in die Charts konnte Tamara Danz jedoch nicht mehr erleben. Gerade einmal mit 43 Jahren verlor sie den Kampf gegen den Krebs. Am Sterbebett mussten Tamaras Musiker ihr schwören, auch ohne sie weiterzumachen. Doch wie will man ohne so eine umwerfende Persönlichkeit mit größter Strahlkraft weitermachen? Es gab Anläufe, Projekte, Ideen… Heute spielen SILLY gesamtdeutsch in der Oberliga. Tamara Danz hätte das zweifelsohne mehr als gefreut, sie wäre stolz auf ihre Männer gewesen.

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