25 Jahre Vereinigung – Pardon – Wiedervereinigung. Ein Vierteljahrhundert. Silberhochzeit auf Völkerebene. Wahrhaft ein Grund zum Feiern! Er und er haben sich vereinigt – der Westen mit dem Osten. Eine ganz moderne Ehe also. Inzwischen streiten sich die Geister, ob es eine Liebeshochzeit war oder eine arrangierte Ehe. Eine Zwangsheirat war es jedenfalls nicht.
Text: Kirsten Kühnert
HÖRTIPP: Silly – die größten Hits
Ich erinnere mich an eine Studie, die beweisen wollte, dass nach 15 Jahren Ehe – ob aus Liebe geschlossen oder zusammengeschustert – alle auf dem gleichen Glückslevel landen. Ganz schön desillusionierend. Andererseits aber auch beruhigend, weil es bedeuten würde, dass die, die sich damals vor der ersten Berührung fürchteten, heute ebenso glücklich sind wie jene, die gleich ihr Herz verschenkten.
Eines allerdings ist wirklich traurig. An dieser Stelle möchte ich ausnahmsweise meinen Ex-Freund Lippi (Wolfgang Lippert) zitieren. „Wir haben vergessen zu schmusen, bevor wir uns vereinigt haben“, sagte er mal. Also nicht wir! Ost und West natürlich.
HÖRTIPP: Puhdys – die größten Hits
Ich kann mich noch genau erinnern, wo ich war, als ich von Günter Schabowskis legendärem Satz hörte, der kurz darauf die Schleusen öffnete: im Bett. Gegen drei Uhr nachts weckte mich ein Anruf aus Bremen. Zwei leicht beschwipste Herren, aufgeregt wie Hühner, plapperten unisono auf mich ein. Lippi und Giovanni di Lorenzo, der damals Moderator bei „3 nach 9“ war. Heute ist er Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“. Ob er sich da verbessert hat? Egal.
„Schnuppi“, jubelte Lippi ins Telefon, „stell dir mal vor, die tanzen auf der Mauer. Mach mal schnell den Fernseher an.“
„Wer tanzt auf der Mauer?
„Na alle.“
Im Hintergrund hörte ich Giovanni kichern: „Wir müssen nach Berlin fahren und von der Mauer senden.“ Sektkorken knallten. Es war kein Traum. Die Grenze war offen.
HÖRTIPP: Karat – die größten Hits
Am Morgen holte mich Wolfgang „Schubi“ Schubert, der damalige Manager von Lippi, ab. „Wir fahren zu ‘3 nach 9‘, du sollst da singen.“ Das wurde ja immer verrückter! Ein paar Mal gab es in den vorangegangenen Jahren für meine Tänzer und mich Anfragen aus dem Westen. Die Künstleragentur der DDR hatte sich aber nie entscheiden können. Einer meiner Tänzer war aus der SED ausgetreten, ich hatte meinen Weltenbummler Lippi. Das schien zu kompliziert. Und plötzlich war alles ganz einfach.
HÖRTIPP: City – die größten Hits
In Bremen angekommen, drückte mich di Lorenzo euphorisch, als würde er einen guten alten Freund wiedertreffen. Was so ein Ausnahmezustand alles bewirken kann… Am Piano wartete schon old Gottfried auf mich, eine ‘3 nach 9‘-Musikerlegende, der in den folgenden Jahren so einige Male privat und gesundheitlich durch die Hölle gehen sollte. „Eine außergewöhnliche Musik“, hieß es dann in der Ansage für meinen Auftritt. Bob Dylans „Blowing In The Wind“ habe ich gesungen. Inbrünstig und zitternd. Ja, die Moderatorin hatte Recht. Das war schon einigermaßen außergewöhnlich. Jeder Westsänger hätte an dieser Stelle seine neueste Produktion an den Mann gebracht. Aber so clever war ich damals noch nicht. Ich musste noch sehr viel lernen in den folgenden Jahren.
HÖRTIPP: Renft – die größten Hits
Zum Beispiel, dass man durchhalten muss als Künstler. Wie war es denn nach der schmuselosen Vereinigung? Alle unsere einst so treuen Fans gingen plötzlich fremd, wollten Abenteuer, die Weststars kennenlernen, sich an der glitzerbunten, duftenden, fremden Welt erregen. Und auch so mancher Kollege flog aus. Einige bis nach Amerika, wie Glücksucher, das Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär im Gepäck. Die meisten sind wiedergekommen.
Ein Freund erzählte mir, dass er in der Anfangszeit nur um sich herum geschnuppert hat. Es roch so gut. Selbst unsere alten Konsum-Kaufhallen, aus denen buchstäblich über Nacht sämtliche Ostprodukte verschwunden waren, dufteten plötzlich verführerisch. Heute, fällt ihm auf, würde er das gar nicht mehr wahrnehmen.
So sind wir halt, wir Menschen. Gewohntes geht unserer Aufmerksamkeit gern durch die Lappen. Als es normal war, dass unsere Mieten niedrig, der Arbeitsplatz gesichert und unsere Ausbildung gut und günstig war, haben wir gar nicht gewusst, wie beruhigend das ist. Jetzt, wo es aus ist damit, sehnt sich manch einer nach den alten Zeiten zurück. Wir könnten uns mit Schnuppern trösten. Aber das klappt ja nicht mehr.
HÖRTIPP Reinhard Lakomy – die größten Hits
Ja, die Zeiten haben sich geändert. Es gibt kein Komitee für Unterhaltungskunst mehr, das uns die Musikproduktionen bezahlt. Und auch keinen Rundfunk, der unsere Texte zensiert. Gut, mit der Zensur in heutiger Zeit, das muss ich noch mal genauer recherchieren… Ja, es ist so einiges verschwunden. Aber – und das ist für einen Künstler wohl das Schönste – unsere Fans sind zurückgekehrt. Schlauer, weiser und erfahrener als sie es jemals waren. Und sie haben ihre neuen „West-Freunde“ mitgebracht. Jene „Ost-Künstler“, die die Stellung gehalten und weiterhin Herz und Hirn in Musik verwandelt haben, weil sie es einfach nicht lassen können, wurden belohnt. Mit Dankbarkeit, mit Applaus und mit Treue.
Wenn die alten und neuen Freunde dann vor einem stehen, sich gegenseitig in den Arm nehmen und alle Texte mitsingen, dann kann es geschehen, dieses kleine große Wunder: Dass Grenzen verschwinden und man eins wird. Ja, das Leben ist schön, wenn man sich vereinigt – wieder und wieder. Ganz besonders, wenn es aus Liebe ist.