Die Kinder benahmen sich artig und übten Gedichte für Väterchen Frost oder den Weihnachtsmann aus Himmelpfort ein. Dann gab es noch Ernteberichte, Märchen, Pittiplatsch, „Weihnachten in Familie“ und leckere Brötchen von Hand. Die Vergangenheit aus persönlicher Sicht mit anschließenden Musiktipps zum Fest …
Text: Kirsten Kühnert
Jedenfalls begann die Weihnachtszeit in der DDR erst im Dezember, frühestens zum 1. Advent. Nicht so wie heute, wo sich die ersten Lebkuchenherzen schon Anfang September in die Supermärkte stehlen. Nein, Weihnachten begann, wenn der erste Schnee fiel, wenn man sich die Hacken nach Geschenken abrannte und die Mutter überlegte, welches Tier wir zu den Feiertagen vertilgen würden. Das hieß in den Sechzigern, als wir zu unserer Versorgung noch eigenes Viehzeug hielten, dass mein zartbesaiteter Vater – er gehörte als Ingenieur zur sogenannten Intelligenz – zum Schlachter wurde… Grauenvoll. Vielleicht auch deshalb bin ich heute Vegetarier. Damals – ich bin sicher – hätte man Menschen, die kein Fleisch essen, für Außerirdische gehalten.
Ja, die Weihnachtszeit war ziemlich irdisch im Osten. Das Christkindel spielte keine große Rolle. Im Handel wurde es angeblich „Jahresendfigur mit Flügeln“ genannt. Und der Christbaum war schlichtweg ein Weihnachtsbaum. Mitunter stammte er aus dem nahe gelegenen Wäldchen, in aller Dunkelheit geschlagen… Den mussten wir nicht mit Duftspray aufpimpen, allenfalls mit ein paar Extrazweigen. Unser „Erlöser“, der „Retter“, war auch ein anderer als der im Westen. Er hatte sich weder ans Kreuz nageln lassen, noch sprach er englisch. Nein, er sprach russisch.
Meine Freundin glaubte fest daran, dass es Jesus war. Die besuchte auch schon als Kleinkind einen christlichen Kindergarten und durfte jedes Jahr das weihnachtliche Krippenspiel in der Kirche mitmachen. Darum beneidete ich sie. Meine Eltern waren eher pragmatisch, die betraten die Kirche allenfalls für ein schönes Konzert.
Väterchern Frost weiß alles
Ja, Weihnachten war schon immer etwas Besonderes. Ob mit coca-colarotem Weihnachtsmann oder dem russischen Väterchen Frost, wir Kinder waren immer total aufgeregt in der Vorweihnachtszeit, übten Gedichte und Lieder ein und benahmen uns ausnahmsweise artig. Denn eines war klar: Der Weihnachtsmann wusste alles. So wie die Stasi. Und die NSA. Er kam auch zu uns nach Hause, aber immer dann, wenn ich auf dem Klo saß. „Ach“, bedauerten meine Eltern jedes Mal mit scheinheiliger Anteilnahme, „jetzt ist er schon wieder fort.“ Eine Freundin berichtete mir, dass er arm sein müsse, weil er die alten Schuhe vom Onkel anhatte. Andere konnten ausmachen, dass er sächselte, genau wie der Opa und sogar den gleichen Ehering trug wie er.
Ich bin dem Weihnachtsmann nur einmal begegnet. Auf dem Weihnachtsmarkt. Das wurde auch gleich im Foto festgehalten. Heutzutage springt der Alte ja in jedem Kaufhaus rum. Zeitgleich. Man kann ihn sogar besuchen und in sein Weihnachtsstübchen schauen… Er wohnt im Brandenburgischen Himmelpfort, einem hübschen kleinen Erholungsort, wo es früher ein Sonderwaffenlager der sowjetischen Streitkräfte gab. Seit Mitte der Achtzigerjahre schicken die Kinder aus Ost und West ihre Weihnachtswünsche direkt an das Himmelpforter Postamt.
Die Bescherung und der Westen
Meine Wünsche jedenfalls hat der Bärtige immer erfüllt. Einmal wollte ich nichts sehnlicher als einen Pelikano-Füllfederhalter. Dass das Leben viel schöner sei mit so einem Schreibgerät, hatte ich im Westfernsehen gesehen. Wie günstig, dass unsere Nachbarin, die Käthe, kurz vor dem Fest in den Westen abgehauen war. Also bekam ich einen Pelikano, Schokolade und Waschpulver obendrein. Unser erstes Westpaket! Mann, hab ich mich gefreut! Nach den Weihnachtsferien hab ich zwar trotzdem mit meinem Pionierfüller geschrieben, weil der besser funktionierte. Aber egal, ich besaß ihn, meinen Pelikano!
Das Geschenkeauspacken als Höhepunkt des Weihnachtsabends musste ich mir immer mit viel unkindlicher Geduld erkämpfen. Zuerst: Warten auf Tante Herta. Der Weihnachtsmann hatte auch bei ihr einen Haufen Geschenke für mich abgeladen. Wie umständlich! Dann essen: Kartoffelsalat mit Bockwurst. Und reden. Wie unnütz! Ich saß auf Kohlen. Ein, zwei Stunden, eine Ewigkeit….
Dann endlich wurde die Tür zur guten Stube geöffnet. Und da stand er, der Weihnachtsbaum, glitzernd, duftend, in voller Pracht. Atemberaubend schön! Geschmückt mit Glaskugeln und ultraleichtem Aluminiumlametta, das keinerlei Schwerkraft besaß, im Gegensatz zum Westlametta, das sich die Eltern meiner Freundin besorgt hatten. Sie hängten es jedes Jahr sorgfältig Streifen für Steifen auf und nach dem Fest wieder ab. Meine Eltern verteilten die Aluminiumfäden in Büscheln. Sah auch schön aus.
Den Baum stellten sie immer auf eine Musiktruhe, die sie sich schon als junge Leute zusammengespart hatten. Ein Tonband mit Radioteil, ein riesiger Kasten aus echtem Holz, marmoriert und poliert. Als sie ihre Neuanschaffung damals lautstark ausprobierten, war ihnen wohl ein Westsender in die Quere gekommen. Der spielte so schöne Ami-Musik und meine Eltern waren lebenslustige Leute. Das Ergebnis war eine Anzeige im Rathaus wegen Hören eines Feindsenders. Passiert ist nichts weiter, außer dass wir jetzt wussten, dass unsere Nachbarn linkerhand Petzen waren. Vielleicht lag es daran, dass der Paul im Krieg war. Statt seiner Arme hatte er nur zwei Stümpfe. Damals war der Krieg beim Nachbarn zu sehen. Heute ist er im Fernsehen.
Besinnliches Weihnachtsprogramm
Im Fernsehen liefen in der DDR auch die Ernteberichte und die Erfolge der Arbeiterklasse. Mochten wir nicht. Warum eigentlich nicht? Zu Weihnachten gab es natürlich auch herrliche Märchen, russische und tschechische. Meister Nadelöhr sang und spielte auf seiner Elle und unsere Lieblinge Pittiplatsch, Schnatterinchen, Moppi, Herr Fuchs, Frau Elster und all die anderen liebenswerten Puppen, erlebten besonders lange, spannende Geschichten. In späteren Jahren feierten wir dann mit Frank Schöbel und seinen Lieben „Weihnachten in Familie“. Und manchmal packte mein Vater sogar das Akkordeon aus, dazu hatte er sonst leider selten Zeit.
Weihnachten war und ist eine schöne Zeit. Allerdings musste man früher, was seine Organisation betrifft, etwas weitsichtiger sein als heute. Verkaufsoffene Adventssonntage gab es nicht. Besinnlichkeit war staatlich verordnet. Und das war gut so. Und wer am heiligen Abend schnell noch die Gans einkaufen wollte, Geschenke oder Lebkuchen. Der hatte sich geschnitten. Pünktlich zur Mittagszeit war alles ausverkauft. Auch die morgendliche Schlange vor dem Becker, der die herrlichen Brötchen noch von Hand herstellte, war verschwunden. Brot war längst aus. So wurde auch nichts weggeworfen.
Damals wie heute
Wie eh und je treffen sich die Familien zum Fest der Liebe, umarmen sich, zerstreiten sich, essen, feiern. Und sie diskutieren. Damals über Mangelwirtschaft, heute über die Fettlebe im Westen und den Hunger in der Dritten Welt. Früher und heute gleichermaßen über die Lügen der Politiker.
Weihnachten in der DDR. So viel anders war das gar nicht. Gut, es war nicht ganz so glitzernd, nicht ganz so bunt, nicht ganz so reich wie heute. Wir hatten auch keine Angst, im neuen Jahr die Arbeit zu verlieren, die Wohnung oder unser Erspartes. Und es gab auch keine Soldaten, denen ein Kriegseinsatz bevorstand. Aber sonst war es ganz ähnlich…
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