Mar
23
2016

Stefan Diestelmann: Der Grenzgänger

Stefan_Diestelmann

In München geboren, prägte Stefan Diestelmann die Bluesszene in der DDR in den 70er- und 80er-Jahren wie kaum ein Zweiter. Sein Erfolg und seine deutlichen Worte machten ihm dort allerdings nicht nur Freunde.

Text: Chris Hauke

„Wenn ich Blues spiele, geht es mir um zwei Dinge: Zum einen will ich den Blues als eigene Musik der schwarzen Bevölkerung Amerikas zu uns reinholen, zum anderen übertrage ich den Blues, versuche ihn mit unseren Problemen zu prägen und ihm mein europäisches Empfinden zu geben.“

 

Als Stefan Diestelmann diesen Satz sagt, lebt er bereits wieder in München. Hinter ihm liegen 23 Jahre DDR – und jede Menge Reibereien mit der Obrigkeit. Der Blueser und seine Musik haben die Machthaber dort zunehmend in Aufruhr versetzt. Eine Konfrontation mit Ansage.

64626-49498I41563Schwerer kann der Weg für einen 12-jährigen Jungen aus Bayern kaum beginnen: 1961, kurz nach dem Bau der Mauer, verlassen die Diestelmanns die BRD und siedeln aus beruflichen Gründen – Vater und Mutter sind Schauspieler und arbeiten beim DDR-Filmunternehmen DEFA – in den Osten um. Stefan beschäftigt sich intensiv mit dem Blues und bringt sich das Spielen von Gitarre und Mundharmonika bei. Auf diesem Weg findet er erste Bestätigung in seinem neuen sozialen Umfeld. Dabei profitieren er und viele andere Jugendlichen in der DDR von der Entscheidung der regierenden SED, den Blues als Musik der schwarzen Arbeiter Amerikas zu unterstützen und kulturell zu fördern. So kommt 1964 erstmals das American Folk Blues Festival ins Land und mit ihm schwarze Szene-Größen wie Lightnin’ Hopkins, Hubert Sumlin oder Howlin’ Wolf. Die Resonanz ist riesig, schnell entsteht aus der Begeisterung für die Originale eine eigene Szene. Die Jugendlichen bewundern den Blues vor allem für seine Echtheit und Ursprünglichkeit, im Freiheitskampf der Afroamerikaner sehen sie dazu offenkundige Parallelen zu ihrem eigenen Ringen. Stefan Diestelmann ist mittendrin. Schön früh bezeichnet er die DDR als das modernste Gefängnis der Welt, 1967 wird er wegen „Vorbereitung zur Republikflucht“ zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Musikalisch geht es für ihn in dieser Zeit nur langsam bergauf. Seine Vorliebe für authentischen, akustischen Blues teilen nur wenige seiner Kollegen, erst mit der Gründung der Stefan Diestelmann Folk Blues Band 1977 kann er seine Präferenzen ausleben und auf der Bühne umsetzen. Sein Handwerk hat er im Lauf der Jahre perfektioniert, seine Coverversionen von Blues-Klassikern wie „Stormy Monday Blues“ oder „Key to the Highway“ begeistern die Fans, auch wenn sie auf einiges Gewohntes verzichten müssen: Komplett ohne Schlagzeug und E-Gitarre serviert die Band urwüchsigen Blues im Stil der alten Meister. Einen von ihnen trifft Diestelmann bei den Aufnahmen zur Debüt-LP seiner Band höchst selbst: Für Memphis Slim komponiert er ein Stück, gemeinsam mit ihm interpretiert er dazu dessen Song „Rockin’ The House“. Die Staatsmacht beäugt das Treiben der Blueser mittlerweile kritisch. Die langhaarigen und häufig bärtigen Fans mit ihrem Hippie-artigen Erscheinungsbild weit abseits der von der Partei gewünschten Konformität sind ihr zunehmend ein Dorn im Auge, Diestelmann gilt ihnen als Aufrührer. Einer, der 200.000 Platten verkauft.

64626-49499I41564Der Konflikt verschärft sich mit der zweiten LP „Hofmusik“. Diestelmann verzichtet hier auf Coverversionen und singt erstmals deutsch. Seine Texte schmecken der Staatsmacht nicht, Songs wie „Der Alte und die Kneipe“ oder „Hof vom Prenzlauer Berg“ zeichnen ein trist-reales DDR-Bild, das dem sozialistischen Selbstverständnis zutiefst widerspricht. Auch sein Auftritt bei einer der von der SED massiv bekämpften Blues-Messen in der Ostberliner Auferstehungskirche im Jahr 1980 trägt zur Eskalation bei. Schikane und Auftrittsverbote sind die Folge. Diestelmann trifft eine Entscheidung. Als er 1984 ohne Band zu einem Konzert nach Hildesheim reisen darf, vollendet er seine Republikflucht und kehrt als 35-Jähriger nach Bayern zurück. Sein Entschluss bleibt nicht ohne Folgen: In der DDR wird sein bereits auf Kassette ausgeliefertes drittes Album „Folk, Blues & Boogie“ aus dem Verkehr gezogen. Diestelmann hingegen bleibt noch ein Jahrzehnt musikalisch aktiv, ehe er sich von der Musik verabschiedet und eine Filmfirma gründet. Er stirbt zurückgezogen im Jahr 2007 – so zurückgezogen, dass der Tod eines der prägendsten Musiker der DDR-Bluesszene erst vier Jahre darauf publik wird.

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Das Boxset Original Album Classics umfasst fünf Alben von Stefan Diestelmann. Neben seinen drei in der DDR produzierten Werken „Stefan Diestelmann Folk Blues Band“, „Hofmusik“ und „Folk Blues & Boogie“ gibt es mit „Live“ eine Konzertaufnahme aus dem Münchner Café Giesing aus dem Jahr 1985 sowie das Spätwerk „My Lights“ von 1994.