FDGB-Heim? Neptunfest? Kartoffelferien? Kuschelkugel? Wer in der DDR aufgewachsen ist, hat viele unvergessliche Sommer voller einzigartiger Zutaten erlebt. Eine farbenfrohe Erinnerung an Nachtwanderungen in Ungarn und FKK auf dem Camping-Platz…
Text: Kirsten Kühnert (Sängerin und Autorin)
Juchhei! Sommer, Sonne und Türkei… Ach nee, das war ja im Westen, für uns eher nicht erreichbar. Trotzdem fühlten wir uns großartig! Ja, auch in der DDR! Das Zeugnis in der Tasche – Sitzenbleiber waren eher selten – konnten wir ganz entspannt den Sommer genießen. Acht Wochen Ferien, bis es am 1. September wieder losging mit Schule, Studium, Ausbildung. Angst vor der Zukunft hatte keiner. Die war gesichert. Mehr oder weniger wunschgemäß.
FDGB: Recht auf Erholung
Hatten die Eltern einen Urlaubsplatz in einem der zahlreichen Heime des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) ergattert – schätzungsweise alle fünf Jahre – hatten wir das große Los gezogen. Selbst wenn damit zu rechnen war, im Speisesaal neben dem unsympathischen Chef zu sitzen. Da konnte man sich höchstens in den zweiten Essensdurchgang retten. Aber egal, bei einem Unkostenbeitrag von kaum 100 Mark für zwei Wochen Ostseeurlaub, Kost und Logis inklusive, war keiner wählerisch. Urlaub musste schließlich sein. Das Recht auf Erholung für jeden DDR-Bürger stand sogar festgeschrieben in Artikel 16 unserer Verfassung. Wir hatten damals eine im Gegensatz zur Bundesrepublik…
Wir Kinder fühlten uns jedenfalls aufgehoben, auch wenn die Eltern arbeiten waren. Da gab es die Ferienspiele in der Schule, wo ich zum Beispiel Schwimmen lernte. Jeden Morgen in der Frühe radelten wir los ins Freibad Brieselang. Selbst fürs Mittagessen war gesorgt. Leider steckte die Schule hinter dem Angebot, und von der wollte ich in den Ferien nichts wissen. Mehr Abenteuer versprachen die Pionierferienlager, die solch klangvolle Namen wie Wilhelm Pieck oder Thomas Münzer trugen.
Aktivurlaub „Kartoffelferien“
Oder die betriebseigenen Ferienlager: Mit 15 bis 20 Ost-Mark für zwei Wochen war man dabei, erschwinglich für alle Eltern. Das Zementwerk in Rüdersdorf hatte sogar ein Austauschheim in Ungarn. Ich war in Borlas und in Wesendahler Mühle bei Berlin. Herrlich! Nachtwanderungen, Neptunfest, Tischtennis spielen, Mittagsschlaf dummerweise auch. Fast hätte ich da meinen ersten Kuss bekommen. Hat dann doch nicht geklappt, dafür durfte ich beim Abschlussfest zum ersten Mal auf einer Bühne stehen und singen: „Rote Lippen soll man küssen.“ War das nicht ein Westtitel?! Da gab es doch die Quotenregelung der AWA: Mindestens 60 Prozent der im DDR-Radio gespielten Musik musste aus heimischer Produktion stammen. Ganz ehrlich, das würde unserer heutigen Musiklandschaft auch gut tun.
Als wir älter wurden, erwartete man, dass wir gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Ab zum Ernteeinsatz. Kartoffelferien! Klingt anstrengend. War es auch neben all dem Blödsinn, den wir dabei verzapften. Mit dem bestandenen Abitur in der Tasche fühlten wir uns alle unendlich frei. Die Welt lag uns zu Füßen, zumindest in den Grenzen unseres Landes. Einige trampten einfach drauflos, so weit sie eben kamen. Meine Freundin und ich machten eine Radtour zur Ostsee. Drei Tage brauchten wir, inklusive einer kleinen Schummelei. 50 Kilometer nahm uns ein freundlicher Lastwagenfahrer mit. Angst hatten wir nicht. Weil es keine Verbrechen gab? Oder war nur in den Nachrichten kein Platz dafür?
Nackedeis beim Klappfixausfegen
Camping! Toll, so man ein Zelt hat. Meine Freundin und ich schickten es vorab mit der Bahn nach Zempin auf Usedom, wo es aber nicht ankam. Da standen wir nun mit unseren Rädern, den Rucksäcken auf dem Rücken und gerade einmal 50 Ost-Mark in der Tasche für vier Wochen Urlaub. Camper waren damals ein solidarisches Völkchen. Und so nahm uns mal eine Familie auf, mal überließen uns andere ihr Zweitzelt. Als sich unsere Plane nach drei Wochen endlich anfand, hatten wir uns in fremden Zelten so gut eingerichtet, dass wir sie nicht mehr benötigten. Angst vor Diebstahl hatte damals offensichtlich keiner. Als junge Mütter haben wir ja auch ohne Sorge unsere Kinderwagen samt Kindern vor der Kaufhalle geparkt. Und unsere Kleinen sind schon ab der zweiten Klasse allein in die Schule gedackelt. Drogendealer vor dem Schultor? Undenkbar.
Sommer, Sonne, FKK, das gehörte irgendwie zusammen in der DDR. Nacktheit, wenigstens oben ohne, das war nicht anzüglich, das war natürlich. Obwohl mir speziell das Nackt-Campen etwas zu weit ging. Abgesehen davon, dass man selbst in jeder Lebenslage ungeschützt umhersprang, musste man auch die anderen Entblößten sehen. Beim Kochen, beim Grillen, beim Klappfixausfegen.
Die Kuschelkugel rollt bis Bulgarien
Apropos Klappfix, ein luxuriöses Vorzelt für den Campingwagen. Zu Berühmtheit brachte es auch das Würdig-Ei, auch „Dübener Ei“ oder „Kuschelkugel“ genannt. Ein winziger Wohnwagen, lustig anzusehen und ultraleicht, sogar für den Trabi geeignet. Es gab Leute, die sind damit bis nach Bulgarien, in die CSSR oder nach Ungarn gedüst. Vollgestopft bis unters Dach mit Lebensmitteln oder Tauschartikeln und natürlich einem Werkzeugkasten. Den Trabi konnte man noch selbst reparieren. An der Grenze: Herzklopfen und ein gelangweilter Gesichtsausdruck. Westgeld schmuggeln war nämlich verboten. Wir haben’s trotzdem gemacht. Die wenigen DDR-Mark, die wir pro Tag in die jeweilige Währung umtauschen durften, hätten hinten und vorn nicht gereicht.
Ich habe mich immer auf ein paar Tage im Elbsandsteingebirge gefreut, wo ich mit Freunden klettern war. Der Gipfelbucheintrag, das war schon was Besonderes. Wer nichts riskieren wollte, blieb am besten zuhause oder griff etwas tiefer in die Tasche und mietete einen der raren privaten Ferienplätze. Begehrt waren auch die Kleingärten. Eine 300 qm Parzelle, bunt blühend, mit einer ausgebauten Laube, das war der kleine Sommerurlaub am Wochenende. Dass ein Drittel der Fläche zum Obst- und Gemüseanbau genutzt werden musste, hatte einen positiven Nebeneffekt. Nicht nur, weil man selbst mit Bio-Qualität versorgt war, obendrein durfte die überschüssige Ernte im nahe gelegenen Gemüseladen abgegeben werden. Gegen Bezahlung.
Treffen der Kulturen in Berlin
Wir Teenager wollten nicht in der Erde wühlen und nachmittags Kaffee trinken, wir wollten was erleben. Jungendclubs, Schwimmbäder, Theater, Diskos, Kino, auf jedem Dorf gab es ein Kulturhaus und irgendwo einen See zum paddeln. Die Geschichtsbewussten besuchten Schloss Sanssouci, die Leseratten hatten ihre Bibliotheken, die Sportbegeisterten ihre Vereine. Alles spottbillig. Jeder konnte mitmachen. Ober- und Unterschichten? Kannten wir nicht. Nur Arbeiter und Intelligenz. Und die Arbeiter hatten das Sagen.
Berlin! Für die Dresdener und Leipziger war es eine Reise wert. Berlin, das war ein winziges Stück von der großen weiten Welt. Berlin, da ging man einkaufen. Berlin war die Vorzeigestadt der DDR, besser beliefert als alle anderen. Auf dem Alexanderplatz trafen die Mädchen hübsche Jungs von „drüben“. Braungebrannt waren sie, hatten schöne schwarze Haare und lange Wimpern. Sie sprachen ein schlechtes Englisch und erzählten von ihrer Heimat. Von Krieg und Verfolgung. Von Angst und Verlust. Das war so weit weg, schien es uns. Am anderen Ende der Welt, wo wir nie hinkommen würden. Wir kannten keinen Krieg. Nur die Wehrerziehung in den Ferien. Gut, da musste man durch, war eher lustig als beängstigend. Damals schenkten uns die Jungs am Alex eine Kette mit lauter kleinen Elefanten aus Elfenbein. Als Andenken. Ich frage mich, was aus ihnen und ihren Familien geworden ist. Nein, Krieg war unvorstellbar für uns.
So war der Sommer in der DDR. Wem es sich bis hierhin zu ostalgisch las, dem sei gesagt, dass wir auch große Sehnsucht hatten. Nach fernen Ländern, fremden Menschen, nach dem Geruch von Kaffee und Waschpulver, der mit den Westpaketen zu uns rüberschwappte. Dass wir auch die Levis 501 haben wollten, weil sie eine tolle Figur machte und auch bei uns „in“ war. Und dass wir über dunkle Kanäle für viel zu viel Geld West-Schallplatten von den Stars erstanden, die wir so liebten und die wir doch gar nicht kennen sollten. Und dass wir die Grenze, die uns im Norden, im Süden, im Osten und ganz besonders im Western den Weg versperrte, mit der Kraft unserer Fantasie überwanden.
Nach 1989, nach der Wende, konnten wir alle unsere Wünsche wahrmachen. Sommer in der DDR gab es für eine Weile kaum noch. Auf in die Türkei, war das Motto, nach Griechenland, nach Hawaii und New York. Für manche erfüllten sich die kühnsten Träume, andere stellten entgeistert fest, dass die neugewonnene Realität Mühe hatte, der jahrelangen Fantasie standzuhalten. Ja, es wird eben überall nur mit Wasser gekocht. Hüben wie drüben. Und so genießt man inzwischen wieder die Ostsee und die Mecklenburger Seenplatte.
Aktion ROCK SUMMER
10 Lieder, die in Ihrem Herzen den Sommer wecken:
1. „Reise zu den Sternen“
Berluc, die Rocker von der Küste, sind nach wie vor auf Tour. Auch wenn sie zu den Sternen reisen und von dort aus „Hallo Erde, hier ist Alpha“ senden, sie kehren zurück. Denn „Die Erde lebt“. Und mit ihrer Mahnung „No Bomb“ sind sie heute aktueller denn je.
►Vom Album: Berluc – Reise zu den Sternen
Aus der Aktion ROCK SUMMER
2. „Der King vom Prenzlauer Berg“
Endlich mal der King sein, der Größte. Beliebt, umjubelt, verehrt, getragen, erwartet, immer wieder und ohne Unterlass. Toni Krahl, Manfred Henning, Klaus Selmke, Georgi Gogow und Fritz Puppel, die Jungs von City, erleben genau das. Heute wie damals.
►Vom Album: City – Am Fenster
Aus der Aktion ROCK SUMMER
3. „Ich liebe jede Stunde“
Ein Klassiker von Karat, eine Ode an das Leben. Ob Sommer, ob Winter, ob hier oder dort. „Jeder Tag zeigt mir sein Gesicht. Es ist mir gleich, wie es zu mir spricht, ich liebe jede Stunde“, sang Frontmann Herbert Dreilich. Er starb 2004. Sein Sohn Claudius übernahm die Gesangsparts und macht dem Vater dabei alle Ehre.
►Vom Album: Karat – 25 Jahre: das Konzert
Aus der Aktion ROCK SUMMER
4. „Kling, klong“
Es waren einmal vier Leisegang-Brüder. Die wollten offensichtlich einen Zahn zulegen, als sie sich bei ihrer Gründung 1980 den Namen „Jogger“ gaben. Frontmann Norbert und Bassist Hartmut sind nach 35 Jahren noch immer unterwegs. Zusammen mit Andreas „Spatz“ Sperling, Sebastian Piskorz, Martin Weigel und Lin Dittmann nennen sie sich heute Keimzeit. „Kling, klong“, sie gehen die Straße entlang, entspannt und geschmeidig durch nahe und ferne Lande.
►Vom Album: Keimzeit – Bunte Scherben
Aus der Aktion ROCK SUMMER
5. „Ferien mit Helene“
Aus Rockhaus, der einstigen Teen-Band, sind erwachsene Musiker geworden, die unbeirrt ihren Weg gehen. Im Team, einzeln und in anderen Formationen. Die alten Zeiten sind vorbei, als sie noch mit schrillem Ton „Bonbons und Schokolade“ anpriesen und sich obendrein erlaubten, die deutsche Grammatik zu verbiegen: „Ferien mit Helene, Ferien mit uns zwei. Ferien mit Helene, Ferien vogelfrei.“
►Vom Album: 30 Jahre Rockhaus
Aus der Aktion ROCK SUMMER
6. „Rock’n’Roll im Stadtpark“
Urlaub, kein Geld und nicht am Balaton? Langeweile? Geht doch einfach runter: „Die Jungs und Mädels aus unserm Block“, singt André Herzberg von Pankow, „die haben heut’ alle Bock auf Rock. Es kostet uns nicht eine Mark. Heut’ gibt’s Rock’n’Roll im Stadtpark!“ Pankow zählen zu den erfolgreichsten Bands der DDR. Ob im Stadtpark oder in der Konzerthalle, wo sie auftauchen, wird gerockt.
►Vom Album: Pankow – In Aufruhr
Aus der Aktion ROCK SUMMER
7. „Sehnsucht“
„…heißt auch, gefangen sein“, singt Dieter „Maschine“ Birr von den Puhdys. Aufrichtig, echt, einzigartig. Puhdys eben. Auch nach 46 Jahren voller erfolgreicher Konzerte und millionenfacher Plattenverkäufe haben sie die Bodenhaftung nicht verloren. Ob „Alt wie ein Baum“, ob auf Abschieds- oder Comeback-Tour, ihre Fans bleiben treu. Auch über die Rockerrente hinaus.
►Vom Album: Puhdys – Das Beste aus 25 Jahren
Aus der Aktion ROCK SUMMER
8. „Mont Klamott“
Der große Trümmerberg im Volkspark Friedrichshain. Silly, damals noch mit Tamara Danz als Frontfrau, setzten ihm 1983 ein musikalisches Denkmal: „Mitten in der City, zwischen Staub und Straßenlärm, wächst ’ne grüne Beule aus dem Stadtgedärm. Dort hängen wir zum Weekend die Lungen in den Wind, bis ihre schlappen Flügel so richtig durchgelüftet sind“, sang Tamara einst. Sie starb 1996 mit nur 43 Jahren. Erst mit ihrer neuen Frontfrau, der Schauspielerin und Sängerin Anna Loos, fühlten sich die Silly-Musiker wieder komplett.
►Vom Album: Silly – Mont Klamott (Remastered Version 2010)
Aus der Aktion ROCK SUMMER
9. „Der Kampf um den Südpol“
Ein Song, der 1976 für den Durchbruch der Stern-Combo Meißen sorgte. Einst sang Reinhard Fißler den Dauerbrenner. Der an ALS erkrankte Ausnahmemusiker machte die Bühne frei für seinen jungen Kollegen Manuel Schmidt. Ein würdiger Nachfolger.
►Vom Album: Rock Revolution
Aus der Aktion ROCK SUMMER
10. „Die Tagesreise“
Einer der beliebtesten Songs der DDR-Rockmusik. Gesungen von vielen, ist er doch mit der Stimme von Horst Krüger in Erinnerung geblieben. Krüger zählt zu den erfolgreichsten Musikern der DDR und war ein Wegbereiter für viele seiner Kollegen wie Gotte Gottschalk, Wolfgang Lippert, Tamara Danz oder auch Gerti Möller, die er obendrein gleich zweimal geheiratet hat.
►Vom Album: Die schönsten Rockballaden
Aus der Aktion ROCK SUMMER